Studentische Armut sichtbar machen und bekämpfen

*Dieser Beitrag wurde automatisch übernommen und ist keine Veröffentlichung der LAK Bremen.*

Armut ist ein komplexes Thema, das in seiner Vielschichtigkeit und Abhängigkeiten zusammen gedacht werden muss, jedoch werden wir hier nur einen Ausschnitt der Dimensionen studentischer Armut darstellen können.

Seit Jahren leben viele Studierende in Armut (Middendorff et al., 2017; der Paritätische, 2022). Die Gesamtsituation ist jedoch seit der Corona-Pandemie und der aktuellen Energiekrise noch einmal drastischer geworden (Statistisches Bundesamt, 2022). Die Lebenshaltungskosten haben sich um ein Vielfaches erhöht und gerade bei Lebensmittelpreisen lag die Inflation deutlich über dem Durchschnitt von 10%. Dennoch greift der Notfallmechanismus des 28. BAföG-Änderungsgesetzes nicht und die Entlastungspakete der Bundesregierung stellen aufgrund ihrer viel zu geringen Höhe und durch die massive zeitliche Verzögerung längst schon keine Entlastung mehr dar. An vielen Stellen entsteht der Eindruck, dass die Armut von jungen Menschen und insbesondere die von Studierenden nicht ausreichend betrachtet wird. Mit rund 3 Millionen Eingeschriebenen ist die Gruppe der Studierenden in Deutschland nicht nur eine kleine Randgruppe, vielmehr sind sie die größte Statusgruppe des Hochschulwesens. Auch aus einer Armutsperspektive stellen sie eine wichtige Statusgruppe dar, daher ist es um so wichtiger, dass sie explizit beachtet werden.

Es ist wichtig, dass in Armut lebende Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Trotzdem ist zu beachten, dass bei einzelnen Statusgruppen eben unterschiedliche Probleme auftreten können. So stellt etwa die Auszahlung der Energiepreispauschale an Studierende ein viel größeres Hindernis dar als bei Sozialhilfeempfänger*innen oder Auszubildenden. Jede Gruppe hat ihre spezifischen Probleme und diese müssen sichtbar gemacht werden. Umso bedeutender ist es, nicht nur von Armut unter Studierenden zu sprechen, sondern explizit von studentischer Armut.

Daher fordern wir:

Studentische Armut muss ein sichtbarer Teil einer bundesweiten Armutsdebatte werden!

Viel zu selten wird in Deutschland über Armut diskutiert und wenn, dann wird Armut als etwas Homogenes dargestellt. Beides muss sich ändern. Deshalb organisiert der fzs eine Auftaktvernetzzungsveranstaltung noch vor der nächsten Mitgliederversammlung zum Thema: „Studentische Armut“ und koordiniert mit den Mitgliedsstudierendenschaften eine bundesweite Kampagne die über die bisherige Arbeit hinausgeht.

Studentische Armut muss politisch ernst genommen werden!

Es kann nicht sein, dass sich das Narrativ des „faulen Studenten“ auch unter Politiker*innen weiter hält. Studentische Armut hat nichts mit Faulheit zu tun. Sich jeden Monat fragen zu müssen, ob man das Studium noch finanzieren kann, ist nicht zumutbar. Die widersprüchliche Erzählung des prekären und gleichzeitig sorglosen Studierendenlebens ist nicht nur falsch sondern auch fatal sie zu glorifizieren.

Es braucht Stadt- und Raumplanung, die Menschen in Ausbildung und Studium unterstützt.

Es kann nicht sein, dass junge Menschen und Studierende einen Großteil ihres monatlichen Gelds für Miete ausgeben müssen, obwohl viele von ihnen in Wohngemeinschaften leben und so Miete und Nebenkosten schon teilen (Moses Mendelssohn Institut, 2022). Erschwingliches Wohnen darf nicht nur in den Außenbezirken, maroden Gebäuden oder außerhalb der Stadt möglich sein. Neben Sozialwohnungen und günstigem Wohnraum im Allgemeinen braucht es eine gute Infrastruktur, die Hochschulen und sonstige Ausbildungsstätten gut anbindet.

Prekären Arbeitsbedingungen politisch entgegenwirken – TVStud jetzt!

In vielen Fällen arbeiten Studierende unter prekären Bedingungen um sich ihre Ausbildung finanzieren zu können. Aktuelle Studienergebnisse zeigen, dass gerade an Hochschulen nicht nur die offiziellen Arbeitsbedingungen durch Kettenbefristung, mangelnde Mitbestimmung und Niedriglöhne erschreckend sind, sondern vielfach bereits grundlegendste Arbeitnehmer*innenrechte missachtet werden: unbezahlte Mehrarbeit, Nachholen von Krankheitsausfall, Missinformation der Beschäftigten, falsche Eingruppierung (Hopp et al., 2023). Das doppelte Abhängigkeitsverhältnis von Vorgesetzten und Lehrenden ermöglicht folgenlose Ausbeutung studentischer Beschäftigter. Sie müssen deshalb im Herbst in den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) aufgenommen und Strukturen zur Überwachung geregelter Arbeitsbedingungen geschaffen werden.

Korrelation zwischen studentischer Armut und psychischer Gesundheit braucht mehr Beachtung!

Armut wirkt sich massiv auf die psychischen Gesundheit aus. Durch die Mehrfachbelastung von Leistungsdruck im Studium und Arbeit um dieses zu finanzieren, leiden Studierende überdurchschnittlich oft an Krankheiten der psychischen Gesundheit (Eissler et al., 2020; Grützmacher et al., 2017). Zu einem ganzheitlichen Ansatz psychischen Wohlbefindens studentischer Lebensumstände gehört dabei auch die Verantwortung von Hochschulen als rahmengebende Institutionen zu betonen. Neben dem Ausbau und der Förderung psychosozialer Beratungsstellen braucht es eine kritische Betrachtung der (Leistungs-)Mechanismen des deutschen Hochschulsystems.

Studentische Kultur stärken!

In der Corona-Pandemie hat studentische Kultur nicht nur gelitten, sondern ist de facto gestorben. Kulturräume wurden geschlossen und nie wieder aufgemacht, Menschen in Ehrenamt sind nicht mehr an den Hochschulen und haben keine Nachfolger*innen gefunden, um diese Räume und Veranstaltungen aufrecht zu erhalten. Der größte Einschnitt sind jedoch die Sparmaßnahmen aufgrund der aktuellen Energiekrise und Verluste durch die Pandemie. Dies ist fatal, da studentische Kultur im Schnitt günstiger ist und sie in vielen Fällen allen in Armut lebenden Gruppen zugute kommt. Wenn studentische Kultur stirbt, stirbt ein soziales Angebot, das kaum oder kein Geld für Nutzer*innen kostete.

Quellen:

Der Paritätische (2022): Armut von Studierenden in Deutschland – Aktuelle empirische Befunde zu einer bedarfsorientierten Reform der Berufsausbildungsförderung in Deutschland. https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/doc/PaFo-2022-Armut_von _Studierenden.pdf

Eissler, C., Sailer, M., Walter, S. et al. Psychische Gesundheit und Belastung bei Studierenden. Präv Gesundheitsf 15, 242–249 (2020). https://doi.org/10.1007/s11553-019-00746-z

Grützmacher, J.; Gusy, B.; Lesener, T.; Sudheimer, S.; Willige, J. (2018). Gesundheit Studierender in Deutschland 2017. Ein Kooperationsprojekt zwischen dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, der Freien Universität Berlin und der Techniker Krankenkasse.

Hopp, Marvin/ Hoffmann, Ann-Kathrin/ Zielke, Aaron/ Leslie, Lukas/ Seeliger, Martin (2023): Jung, akademisch, prekär. Studentische Beschäftigte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen: eine Ausnahme vom dualen System regulierter Arbeitsbeziehungen. Bremen: iaw. https://www.iaw.uni-bremen.de/archiv/mitteilungen/detail?news=90#news90

Middendorff, E., Apolinarski, B., Becker, K., Bornkessel, P., Brandt, T., Heißenberg, S. & Poskowsky, J. (2017). Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). https://www.dzhw.eu/pdf/sozialerhebung/21/Soz21_hauptbericht_barrierefrei.pdf

Moses Mendelssohn Institut (2022): Dramatischer Mietanstieg um 11,4 Prozent verteuert zum Semesterstart WG-Zimmer für Studierende um durchschnittlich 44 Euro pro Monat. https://mmi-website-backend.onrender.com/uploads/22_09_05_PM_Hochschulstaedtescoring_WS_ 2022_e04dd40f6f.pdf?updated_at=2022-09-08T08:58:46.817Z

Statistisches Bundesamt (Destatis) (2022): Pressemitteilung Nr. N066 vom 16. November 2022 -37,9 % der Studierenden in Deutschland waren 2021 armutsgefährdet. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/11/PD22_N066_63.html